Mittwoch, 14. September 2016

ELECTRIC SHOCK THERAPY

Sortier dein Leben,
dann kannst du es vielleicht präsentieren
Dann bist du vielleicht präsentabel,
kleines Knäuel
Kleines Wollwesen
Kannst du dich rühren
Kannst du mich ansehen
und mir sagen, wo du herkamst
Aus dem Ofen?
Oder vom Grund, wo alles wächst,
wo die Muräne in ihr Loch kriecht, die Zähne fletscht
Kannst du sie aushalten, die Spannung

Donnerstag, 8. September 2016

AUF DEM BETT

Aufgeregt kreisle ich
Fantasien meißle ich
Eine Taube flattert auf vor mir
Wohin laufen wir
Frage ich dich auch
Frage ich mich
Frage ich uns

Und du sitzt auf meinem Bett und rauchst jeden Tag
ich habe keine Ruhe
Nur Lebensenergie

Freitag, 4. Dezember 2015

Glanz

Wenn die Zeit stehenbleibt, öffnen sich Fenster
Ein Ausblick, durch den ein Anfang rinnt
Ein Blick ins Nichts, in dein Gesicht

Wenn der Mond zerfällt, malt er den Himmel
Eine Kuppel, die dich ändern kann
Ein Halb zu Ganz, im dunklen Glanz

Montag, 9. November 2015

So heilig

Zum Song Halo:

Als ich jünger war, habe ich zu Beyoncés Song verträumt die Augen geschlossen. Dem Titel wird die Version der norwegischen Liedermacherin Ane Brun und Linnea Olsson allerdings besser gerecht. Andächtig, den Heiligenschein nur umreißend, überträgt der Song Gefühle.




Freitag, 6. November 2015

Twee: Frustra


Hier sitze ich, im Radio Beyoncés leidenschaftlich geschmettertes Halo. So heilig.

Vor mir steht ein ungetrunkenes Astra. Ein ünberührter Börek. Und diese Rose, pinkfarben und dennoch die schönste von drei für heute. Die anderen liegen jetzt auf dem Altonaer Straßenbelag, beide mit einem dicken, wütenden Knick in der Mitte.

Wie kommt es, dass ich mein Astra hier im Döner- und Bierladen an der Ecke trinke? Warum ich den bunten Lichterketten und gemütlichen Bars in Ottensen heute mit einem giftigen Blick begegne?

Es beginnt mit der Bahn. Wie es mir häufiger geschieht, ist mir alle Zeit durch die hektischen Finger geronnen und ich renne zur S31.

Auf dem Weg über die übelriechenden Stufen zum Gleis höre ich einen Ruf.
Ein alter, bärtiger Mann sitzt mit seinen Plastiktüten im Schatten und streckt eine Hand nach mir aus. Darin eine Rose, pinkfarben, nicht besonders groß.

Ich schüttele den Kopf, eile weiter; gleich fährt die Bahn. Aber der Bettler lässt nicht locker - "Komm schon, nimm sie, KEIN GELD." Ausländischer Akzent.
Er klingt beinahe verzweifelt.

Aber ich habe keine Zeit. Und seit Langem weiß ich, dass Rosenverkäufer unlautere Menschen sind, die einem etwas andrehen, was man gar nicht will.

Ich zucke die Achseln und gehe weiter. Vielleicht will er wirklich kein Geld? Vielleicht nur eine junge, gestresste Frau zum Lächeln bringen?

Am Gleis wird das Gerede laut: die Bahn steht im Stau.

"Wetten, die kommt genau dann, wenn wir weggehen, um den Bus zu nehmen?", zetert eine blonde Mittvierzigerin, während ihr Mann keine Miene verzieht, "das ist immer so!"

Angepisst. Gestresst. Nicht lächelnd.

Diese Adjektive passen auf die meisten in meiner Umgebung.

Bald merke ich, dass der Laden, zu dem ich muss, zumacht. Ich erwische ihn nicht mehr.Also raus zu den gemütlich erleuchteten Restaurants in Altona. Entspannt. Börek essen.

Ich werde aufgehalten. Wieder ist es eine Rose, gelb diesmal, mit schön geschwungenen Blütenblättern und klar erkennbaren Dornen. Ich zögere. Blicke kaum auf. Nehme sie, spüre, dass etwas in mir durch die Begegnung mit dem Alten aufgeweicht ist. Ich muss sie einfach nehmen.

Der dunkelhaarige Mann nickt und flötet: "Oh, wunderschön, meine Prinzessin."

Er will mir noch eine geben. Und noch eine. Lachend winke ich ab und will weiter.

Das Unvermeidliche kommt doch. Natürlich, und ich hätte ja damit rechnen müssen.

"Mein Kind, mein Kind sitzt am Bahnhof, ich bin aus Syrien. Eine Spende bitte."

Ich öffne meinen Geldbeutel, befreie den einen Euro, den ich habe, von meinen Geldbeutel besetzenden Centstücken und Strecke ihn ihm hin. Triumphal.

"Sehen sie! Ich dachte, ich hätte kein Kleingeld."

Der Syrier nimmt den Euro. Kein Lächeln, aber die Augenbrauen verengen sich zu einem fingierten flehenden Blick.

"Die Windel kostet aber vier Euro."

Ich kann es nicht fassen. Will ihm die Rosen uns Gesicht schmeißen. Denke an das Kind, das seine Windeln von einem Vater bekommt, der unehrlich und undankbar ist.

Denke an die Flüchtlinge an der Uni, mit denen ich einen Tag zuvor einen wunderbaren Abend in gemütlicher Atmosphäre verbracht habe.

Wie kann er sich mit dem gleichen Wort wie sie bezeichnen?

"Ich kann auch wechseln", bemerkt er, ganz der Geschäftsmann.

Nicht alle, die die Fluchtwelle nach Deutschland schwemmt, sind gleich.

So viel ist sicher.

Jetzt nicke ich im Takt zur türkischen Musik, nippe an meinem Frustra Urtyp und streiche die Blätter der Rose glatt.

Ich bin zurückgegangen, zum Mann an der Treppe. Habe ihn gefragt, ob er wirklich kein Geld will. Musste es wissen.

"Nein. Die kommt von meinem Herzen", sagt er. Aufrichtig. Breit lächelnd.

Und ich drücke meine Rose an mich, trage sie über den Boden, auf dem ihre unehrlichen Verwandten zu welken beginnen.

Dienstag, 27. Oktober 2015

Vogelsang

Oh Welt,
 
ich bin entzückt davon, wie ein Omelette meine Zunge berührt, wie sich Knoten lösen und wie der Bass Depeche Modes in meinen Ohren hämmert. Wie sich Krallen öffnen und wieder schließen, wie Du dich zusammenziehst und weitest, immerfort.

Ich bin überrascht, wie schwarz die Katzen sind und wie rot das Blut, wenn ich an ihn denke, an den kleinen Vogel, der leidet, wie groß die Leere, die seine Federn umgibt.

Ich bin überrascht, wie warm meine Haut ist und wie kühl mein Haar, wie rau und weich, wenn ich darüberstreiche, wie geborgen. 

Ich bin entzückt, weil ich geboren bin, weil Du mich ausgespien und gefangen hast, dann getragen, getragen durch Länder, durch Welten, die nicht meine sind, die Du sind, Schöpfungen der Gedankenlosigkeit. 

Ich bin verdreht und gefaltet, bin geöffnet und fließend; ich bin ein Widerspruch und ein Nagel ins Schwarze, bin alles und nichts. 

Ich bin das ich bin ich bin ich bin.

Donnerstag, 15. Oktober 2015

Een: Regenbahn

Es fällt mir schwer, diesen Blogeintrag zu schreiben. Deshalb schiebe ich den Beginn dieser Reihe auf, beschäftige mich mit anderem.

Ich fühle nicht mehr dasselbe, wenn ich auf dem Kiez tanzen gehe. Da hat sich etwas verändert, das stimmt. Der Hamburger Berg ist nicht mehr der Ort meiner Träume, das flimmernd rote KFC-Schild, die wummernden Beats in der Pooca. Biergeruch, schmale Türen, Menschen, die andere weiterziehen, noch einen Mexikaner, komm schon, weiter. 

Ich weiß nicht, woran es liegt. Aber das gedämpfte rote Licht hat seine Anziehungskraft auf mich verloren. Jetzt sehe ich die Schatten, sehe die leeren Blicke der jungen Mädchen, die sich hier um die eigene Achse drehen und so tun, als würden sie nicht spüren, wie die Augen der älteren Kerle sich an ihnen vergreifen. 

Ich mag abgeranzte Elektroschuppen. Irgendwie tue ich das. Aber ich mag keine Menschen, die ihr Unbehagen, das sie voneinander und von dieser Welt trennt, in einem und noch einem und dem nächsten Glas ertränken, bis sie fallen. Bis sie sich wankend in den Armen liegen und nach einem Echo der Nähe suchen, die sie sich wünschen.

Es ist Kult, aber die fancy toys hinter den Glasscheiben sind nicht mehr „wow“ für mich. Sehen eher wie die Waffen einer neuentdeckten Alienspezies aus, die gerne SM sein wollen, ein bisschen Grey, aber es gar nicht so ernst meinen. Denn wer geht da rein, in diese Läden? Hardcore-Sadisten aus der Szene? Nein, neugierige Touristen, die über das geschenkte Kondom am Eingang schmunzeln und die Gesichter verziehen, wenn sie die Gasmasken sehen, die manchen Menschen scheinbar Genuss verschaffen. 

Bei Tag und am frühen Abend ist die Reeperbahn traurig. Nachts pulsiert sie, führt ziellose Suchende in den Baalsaal, wo sie ihre Kippen achtlos auf den Boden werfen und sich in Pseudo-Ekstase verrenken. 

Aber für mich hat sie eine Farbschicht verloren. 

Jetzt ist sie die Regenbahn. 

Und ich biege in die Große Freiheit ein, bin auf dem Weg zu einem Kino. 

Dann bleibe ich auf der Straße stehen, während der Regen an meinem Schirm herabrinnt und meine Schuhe durchnässt. 

Ich weigere mich, das anzunehmen. Dass das genug ist, dass es das ist, was diese Gegend ausmacht. Saufen, kotzen, die Fresse eintreten und Handschellen anlegen? 

Das ist mir nicht genug. Stattdessen betrachte ich die Fassade einer Venue, die noch leer ist um diese Uhrzeit. Mache ein Foto, das nicht scharf wird, weil der Regen die Konturen verschwimmen lässt.  Es ist der INDRA-Club, wo die Beatles damals gespielt haben.

„It’s beautiful in the rain, eh?“, höre ich eine Stimme hinter mir. 

Es scheint ein Brite zu sein; ein trockenes Lächeln und schneller Schritt. 

Schon geht er weiter. 

„Yeah, it truly is“, antworte ich. 

Aber er schnaubt nur und wendet sich ab. Was für ihn unvorstellbar ist, lasse ich mir nicht nehmen. 

Selbst am versifftesten, nassesten, düstersten Ort gibt es Schönheit. 

Hier auf der Regenbahn.