Dienstag, 20. Januar 2015

Jenseits der Grenzen



Freitagabend; ich befinde mich im Centro Sociale nahe des Heiligengeistfeldes, auf einem Konzert des kanadischen Transgender-Künstlers Rae Spoon. Gleich betritt sein Support Act die Bühne, ein Hamburger Projekt namens Stella Be Strange. Die Location ist klein und hat ihren individuellen Charme; mit Lampenschirmen aus Filmrollen und Traumfängern aus alten CDs. Langsam füllt sich der Raum und die Menschen nippen an Bier oder Saft, spähen ungeduldig ins Halbdunkel hinter der Stage.

Dann tritt sie auf die Bühne. Schwarzer Nagellack, dunkel schimmernde Kleidung und schattige Augen. Die queere* Musikerin macht einen letzten Soundscheck und blickt zu Boden, hält einen Moment inne.

Als sie zu spielen beginnt, geht etwas mit ihr vor: Sie scheint in eine Trance zu sinken, als flösse eine unsichtbare Energie durch ihren Körper, die ihre schlanken Hände lenkt. Entschlossen verschiebt sie die Regler an ihrem MIDI-Sequencer, spielt sphärische Akkorde auf Keyboard und Gitarre. Die gleichmäßigen deep drums sind ihre letzte Verbindung zu unserem Boden; denn sie scheint nicht mehr richtig anwesend zu sein, wirkt entrückt, verletzlich und doch voller Kraft.

Sie begeistert die Zuschauer mit ihrer klaren Stimme und schafft klangliche Illusionen, Bilder aus einer Traumwelt, einer Metapher.

"I was born to live magnificently." Man nimmt es ihr ab.

Im Anschluss kommt Rae auf die Bühne und wendet sich ans Publikum, in den Pausen zwischen seinen Tracks und manchmal währenddessen. Es ist im ersten Moment schwierig, seine hohe Stimme und sein männliches Äußeres zusammenzubringen. Aber Rae passt einfach nicht in die binäre Gender-Ordnung und möchte auf Englisch mit dem Pronomen "they" angesprochen werden (im Deutschen lässt sich das schlecht übersetzen).

Er ist ein wenig zurückhaltend, doch man spürt die Ehrlichkeit in jedem seiner Worte. Schon auf der High School hatte er Probleme mit Menschen, die seine queere* Identität nicht akzeptiert haben. Dieses Thema spielt eine große Rolle in seinen Songs, genau wie seine Heimat Kanada. Mit seinen elektronischen Sounds und Country-Tracks übertägt er Stimmungen, mal sarkastisch, mal upbeat, und eine Botschaft: Sei, wer du bist, egal, was die Leute sagen.

Beide Künstler entziehen sich den gewöhnlichen Normen und Definitionen unserer Welt. Das Konzert ergreift mich, ruft mir in Erinnerung, dass Grenzen oft nur existieren, weil wir sie sehen.

Stella und Rae geben ihnen keinen Raum.

Stella Be Strange


Hier ein Video von Stellas erstem Auftritt in Bamberg.

Und hier eine Aufnahme von Rae Spoon am Freitag.

 

Danke an Christina für Fotos und Video!

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