Donnerstag, 15. Oktober 2015

Een: Regenbahn

Es fällt mir schwer, diesen Blogeintrag zu schreiben. Deshalb schiebe ich den Beginn dieser Reihe auf, beschäftige mich mit anderem.

Ich fühle nicht mehr dasselbe, wenn ich auf dem Kiez tanzen gehe. Da hat sich etwas verändert, das stimmt. Der Hamburger Berg ist nicht mehr der Ort meiner Träume, das flimmernd rote KFC-Schild, die wummernden Beats in der Pooca. Biergeruch, schmale Türen, Menschen, die andere weiterziehen, noch einen Mexikaner, komm schon, weiter. 

Ich weiß nicht, woran es liegt. Aber das gedämpfte rote Licht hat seine Anziehungskraft auf mich verloren. Jetzt sehe ich die Schatten, sehe die leeren Blicke der jungen Mädchen, die sich hier um die eigene Achse drehen und so tun, als würden sie nicht spüren, wie die Augen der älteren Kerle sich an ihnen vergreifen. 

Ich mag abgeranzte Elektroschuppen. Irgendwie tue ich das. Aber ich mag keine Menschen, die ihr Unbehagen, das sie voneinander und von dieser Welt trennt, in einem und noch einem und dem nächsten Glas ertränken, bis sie fallen. Bis sie sich wankend in den Armen liegen und nach einem Echo der Nähe suchen, die sie sich wünschen.

Es ist Kult, aber die fancy toys hinter den Glasscheiben sind nicht mehr „wow“ für mich. Sehen eher wie die Waffen einer neuentdeckten Alienspezies aus, die gerne SM sein wollen, ein bisschen Grey, aber es gar nicht so ernst meinen. Denn wer geht da rein, in diese Läden? Hardcore-Sadisten aus der Szene? Nein, neugierige Touristen, die über das geschenkte Kondom am Eingang schmunzeln und die Gesichter verziehen, wenn sie die Gasmasken sehen, die manchen Menschen scheinbar Genuss verschaffen. 

Bei Tag und am frühen Abend ist die Reeperbahn traurig. Nachts pulsiert sie, führt ziellose Suchende in den Baalsaal, wo sie ihre Kippen achtlos auf den Boden werfen und sich in Pseudo-Ekstase verrenken. 

Aber für mich hat sie eine Farbschicht verloren. 

Jetzt ist sie die Regenbahn. 

Und ich biege in die Große Freiheit ein, bin auf dem Weg zu einem Kino. 

Dann bleibe ich auf der Straße stehen, während der Regen an meinem Schirm herabrinnt und meine Schuhe durchnässt. 

Ich weigere mich, das anzunehmen. Dass das genug ist, dass es das ist, was diese Gegend ausmacht. Saufen, kotzen, die Fresse eintreten und Handschellen anlegen? 

Das ist mir nicht genug. Stattdessen betrachte ich die Fassade einer Venue, die noch leer ist um diese Uhrzeit. Mache ein Foto, das nicht scharf wird, weil der Regen die Konturen verschwimmen lässt.  Es ist der INDRA-Club, wo die Beatles damals gespielt haben.

„It’s beautiful in the rain, eh?“, höre ich eine Stimme hinter mir. 

Es scheint ein Brite zu sein; ein trockenes Lächeln und schneller Schritt. 

Schon geht er weiter. 

„Yeah, it truly is“, antworte ich. 

Aber er schnaubt nur und wendet sich ab. Was für ihn unvorstellbar ist, lasse ich mir nicht nehmen. 

Selbst am versifftesten, nassesten, düstersten Ort gibt es Schönheit. 

Hier auf der Regenbahn. 




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