Ich fühle nicht mehr dasselbe, wenn ich auf dem Kiez tanzen
gehe. Da hat sich etwas verändert, das stimmt. Der Hamburger Berg ist nicht
mehr der Ort meiner Träume, das flimmernd rote KFC-Schild, die wummernden Beats
in der Pooca. Biergeruch, schmale Türen, Menschen, die andere weiterziehen,
noch einen Mexikaner, komm schon, weiter.
Ich weiß nicht, woran es liegt. Aber das gedämpfte rote
Licht hat seine Anziehungskraft auf mich verloren. Jetzt sehe ich die Schatten,
sehe die leeren Blicke der jungen Mädchen, die sich hier um die eigene Achse
drehen und so tun, als würden sie nicht spüren, wie die Augen der älteren Kerle
sich an ihnen vergreifen.
Ich mag abgeranzte Elektroschuppen. Irgendwie tue ich das.
Aber ich mag keine Menschen, die ihr Unbehagen, das sie voneinander und von
dieser Welt trennt, in einem und noch einem und dem nächsten Glas ertränken,
bis sie fallen. Bis sie sich wankend in den Armen liegen und nach einem Echo der Nähe suchen, die sie sich wünschen.
Es ist Kult, aber die fancy toys hinter den Glasscheiben
sind nicht mehr „wow“ für mich. Sehen eher wie die Waffen einer neuentdeckten
Alienspezies aus, die gerne SM sein wollen, ein bisschen Grey, aber es gar
nicht so ernst meinen. Denn wer geht da rein, in diese Läden? Hardcore-Sadisten
aus der Szene? Nein, neugierige Touristen, die über das geschenkte Kondom am
Eingang schmunzeln und die Gesichter verziehen, wenn sie die Gasmasken sehen,
die manchen Menschen scheinbar Genuss verschaffen.
Bei Tag und am frühen Abend ist die Reeperbahn traurig.
Nachts pulsiert sie, führt ziellose Suchende in den Baalsaal, wo sie ihre
Kippen achtlos auf den Boden werfen und sich in Pseudo-Ekstase verrenken.
Aber für mich hat sie eine Farbschicht verloren.
Jetzt ist sie die Regenbahn.
Und ich biege in die Große Freiheit ein, bin auf dem Weg zu
einem Kino.
Dann bleibe ich auf der Straße stehen, während der Regen an
meinem Schirm herabrinnt und meine Schuhe durchnässt.
Ich weigere mich, das anzunehmen. Dass das genug ist, dass
es das ist, was diese Gegend ausmacht. Saufen, kotzen, die Fresse eintreten und
Handschellen anlegen?
Das ist mir nicht genug. Stattdessen betrachte ich die
Fassade einer Venue, die noch leer ist um diese Uhrzeit. Mache ein Foto, das
nicht scharf wird, weil der Regen die Konturen verschwimmen lässt. Es ist der INDRA-Club, wo die Beatles damals gespielt haben.
„It’s beautiful in the rain, eh?“, höre ich eine Stimme
hinter mir.
Es scheint ein Brite zu sein; ein trockenes Lächeln und
schneller Schritt.
Schon geht er weiter.
„Yeah, it truly is“, antworte ich.
Aber er schnaubt nur und wendet sich ab. Was für ihn
unvorstellbar ist, lasse ich mir nicht nehmen.
Selbst am versifftesten, nassesten, düstersten Ort gibt es
Schönheit.
Hier auf der Regenbahn.
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