„Kein Buch hat mich bis jetzt so verwirrt, angezogen, abgestoßen, interessiert, geekelt… Ich hab keine Ahnung, was das jetzt soll.“
– Reaktion eines
Freundes auf ein Buch, das ich euch gerne vorstellen möchte
Till ist nicht normal. Ihn kotzt die Gesellschaft an, die
liberale Haltung seiner Eltern, die Party, die eskaliert, als er Speed nimmt, alles
einfach.
An seiner Waldorfschule wird er nicht zum Abitur zugelassen;
also beschließt er, sein Leben zu ändern, angefangen bei seinem Zimmer. Erst
muss die Couch raus, dann das Bett, irgendwann steht in seinem Reich nur noch
ein Terrarium. Und ein PC. Ab sofort verlässt Till sein Zimmer nicht mehr. Er
hat sich eingeigelt.
In seinem ersten Roman schreibt Kevin Kuhn über einen
Jungen, der den Frust vieler junger Leute widerspiegelt. Aber statt sich der
Realität zu stellen, flieht Till, flieht in sein Zimmer und ins Web 2.0.
Seine Eltern versorgen ihn mit Medikamenten, Essen, Wasser.
Vom Fenster gegenüber wird er beobachtet, ein Nachbar richtet eine Kamera ein,
die ihn 24/7 filmt. Sein Publikum wächst jeden Tag und er wird zur Attraktion
im Web 2.0.: Till, das Tier.
Während man die Tätigkeiten des Jungen verfolgt, der
abwechselnd meditiert, einen Multiplayer-Shooter zockt und an die Außenwelt
denkt, an seine Exfreundin und seinen besten Freund, der ohne ihn um die Welt
tourt, gerät man immer mehr in den Sog der Erzählung.
Till baut eine Welt auf, mit dem Onlinespiel MineCraft. Für
ihn ist sie wichtiger als seine Familie, seine Vergangenheit als Abiturient. Er
hat einen Leguan aus der Karibik importiert und füttert Vögel, die alle
schließlich Einzug in seine Welt finden, Welt 0. Auch der Nachbar loggt sich
ein und gemeinsam errichten die Internet-Freaks eine ganze Zivilisation.
Was real ist und was nicht, ist irgendwann nicht mehr
deutlich zu unterscheiden. Der Autor spielt mit der Überlappung zwischen Online
und Offline.
Das Buch ist ein interessantes Gedankenexperiment,
inspiriert durch einen japanischen Trend: Immer mehr Jugendliche igeln sich in
ihrem Zimmer ein und verstecken sich in Online-Universen. Hikikomori heißt
dieses Phänomen.
Ist das die Zukunft unserer Generation? Ein Leben begrenzt
auf ein paar Quadratmeter? Müssen wir unseren PC nicht mehr ausschalten, wenn
wir frei sein wollen? Warum auch raus, wenn wir im Netz die Möglichkeit haben,
uns die Welt zurechtzubasteln?
Raumerweiterung vs. Abschottung.
Bildet euch selbst eine Meinung und lest Hikikomori von Kevin Kuhn, erschienen im Berlin-Verlag, 2012
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