Freitag, 7. November 2014

Buch: Hikikomori

Leguan-davao

„Kein Buch hat mich bis jetzt so verwirrt, angezogen, abgestoßen, interessiert, geekelt… Ich hab keine Ahnung, was das jetzt soll.“
 – Reaktion eines Freundes auf ein Buch, das ich euch gerne vorstellen möchte

Till ist nicht normal. Ihn kotzt die Gesellschaft an, die liberale Haltung seiner Eltern, die Party, die eskaliert, als er Speed nimmt, alles einfach.
An seiner Waldorfschule wird er nicht zum Abitur zugelassen; also beschließt er, sein Leben zu ändern, angefangen bei seinem Zimmer. Erst muss die Couch raus, dann das Bett, irgendwann steht in seinem Reich nur noch ein Terrarium. Und ein PC. Ab sofort verlässt Till sein Zimmer nicht mehr. Er hat sich eingeigelt.
In seinem ersten Roman schreibt Kevin Kuhn über einen Jungen, der den Frust vieler junger Leute widerspiegelt. Aber statt sich der Realität zu stellen, flieht Till, flieht in sein Zimmer und ins Web 2.0.
Seine Eltern versorgen ihn mit Medikamenten, Essen, Wasser. Vom Fenster gegenüber wird er beobachtet, ein Nachbar richtet eine Kamera ein, die ihn 24/7 filmt. Sein Publikum wächst jeden Tag und er wird zur Attraktion im Web 2.0.: Till, das Tier.
Während man die Tätigkeiten des Jungen verfolgt, der abwechselnd meditiert, einen Multiplayer-Shooter zockt und an die Außenwelt denkt, an seine Exfreundin und seinen besten Freund, der ohne ihn um die Welt tourt, gerät man immer mehr in den Sog der Erzählung.
Till baut eine Welt auf, mit dem Onlinespiel MineCraft. Für ihn ist sie wichtiger als seine Familie, seine Vergangenheit als Abiturient. Er hat einen Leguan aus der Karibik importiert und füttert Vögel, die alle schließlich Einzug in seine Welt finden, Welt 0. Auch der Nachbar loggt sich ein und gemeinsam errichten die Internet-Freaks eine ganze Zivilisation.
Was real ist und was nicht, ist irgendwann nicht mehr deutlich zu unterscheiden. Der Autor spielt mit der Überlappung zwischen Online und Offline.

Das Buch ist ein interessantes Gedankenexperiment, inspiriert durch einen japanischen Trend: Immer mehr Jugendliche igeln sich in ihrem Zimmer ein und verstecken sich in Online-Universen. Hikikomori heißt dieses Phänomen.

Ist das die Zukunft unserer Generation? Ein Leben begrenzt auf ein paar Quadratmeter? Müssen wir unseren PC nicht mehr ausschalten, wenn wir frei sein wollen? Warum auch raus, wenn wir im Netz die Möglichkeit haben, uns die Welt zurechtzubasteln?

Raumerweiterung vs. Abschottung.

Bildet euch selbst eine Meinung und lest Hikikomori von Kevin Kuhn, erschienen im Berlin-Verlag, 2012


        5/5

Bild: von Benjamin Grösch (Eigenes Werk) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

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